Bechstedt/Rudolstadt. In Weimar entsteht ein neues Museum zur Erinnerung an das lange vergessene Massenverbrechen der NS-Zwangsarbeit. Mit einem Gedenkstein für hingerichtete Polen bildet Bechstedt eine Ausnahme.

Der Rasen auf beiden Seiten des gepflasterten Aufstieges zum Bechstedter Gedenkhügel ist frisch gemäht. Die hellen Kalksteine glänzen im leichten Nieselregen. Ein großer in Kies eingefriedeter Stein trägt die Aufschrift „Die Toten mahnen. Faschisten ermordeten hier am 9. 12. 1941 11 polnische Patrioten“. Ihre Namen stehen auf Schieferplatten, die beiderseits der kleinen Promenade zum Ehrenhain in den Boden eingelassen wurden. Etwas abseits hat ein Privatmann ein weiteres Sühnekreuz aufgestellt.

Jürgen Powollik hat Blumen mitgebracht. Der Rentner gehört zur Regional-Gruppe Saalfeld-Rudolstadt der VVN-BdA, die sich seit Jahren mit um das Denkmal kümmert. Hin und wieder vergewissert sich Powollik vor Ort, ob rund um den Hain Pflegemaßnahmen erforderlich sind. Dass die Gemeinde die Anlage in Schuss hält, freut ihn. Das sei nach der Wende nicht immer so gewesen, sagt Powollik. Noch vor gut zehn Jahren war der Hügel weitgehend zugewachsen, das Denkmal wurde nur noch wenig beachtet. Etwas abseits habe ein Privatmann sogar ein weiteres Sühnekreuz aufgestellt. Die Sanierung des Hügels habe schließlich eine Stange Geld gekostet. Nachdem Forschungen ergaben, dass es sich um zwölf Todesopfer handelte, kam jüngst eine weitere Namenstafel für diesen Häftling hinzu. Er war bereits auf der Hinfahrt zur Exekution gestorben.

Gedenkstein ist deutschlandweite Ausnahme

Ausführlich mit dem Denkmal beschäftigt hat sich auch Daniel Logemann, Historiker in der Gedenkstätte Buchenwald. Als Kustos ist er mitverantwortlich für das neue Museum zur Zwangsarbeit, das die Gedenkstätten-Stiftung am 8. Mai im ehemaligen Weimarer Gauforum eröffnen wird. Der Bechstedter Gedenkstein war gut sechs Jahrzehnte zuvor im Auftrag der damaligen DDR-Kreisverwaltung eingeweiht worden. An Erforschung und Gestaltung beteiligten sich seinerzeit Schüler aus Bad Blankenburg und eine polnische Baubrigade. Die in Bechstedt hingerichteten „Patrioten“ waren polnische Zwangsarbeiter aus dem KZ Buchenwald. Und auch wenn der ideologisch gefärbte Denkmal-Text den Begriff Zwangsarbeiter vermeide: Laut Logemann war der Bechstedter Stein der erste Gedenkstein, der auf dem Gebiet der DDR an die Hinrichtungen von Zwangsarbeitern erinnerte. Das mache ihn damals wie heute auf dem gesamten deutschen Staatsgebiet zu einer Ausnahme.

Die Geschichte der Ermordeten steht für die Willkür und Brutalität, der Zwangsarbeiter ausgesetzt waren. 20 Millionen waren es insgesamt in den vom Dritten Reich besetzten Gebieten, 13 Millionen davon auf deutschem Territorium. Die ihnen abgepresste Arbeit stützte die Kriegswirtschaft, hielt die Landwirtschaft oder Privathaushalte am Laufen. Bei Übergriffen oder Verstößen, etwa gegen das Kontaktverbot mit Deutschen, insbesondere Frauen, drohten drakonische Strafen bis hin zum gewaltsamen Tod.

Der Gedenkhain für ermordete Zwangsarbeiter in Bechstedt bei Rudolstadt.
Der Gedenkhain für ermordete Zwangsarbeiter in Bechstedt bei Rudolstadt. © Hanno Müller | Hanno Müller

So auch in Bechstedt. Als Grund für den zwölffachen Mord herhalten musste ein Streit zwischen einem ortsansässigen Bauern und einem auf dessen Hof tätigen Zwangsarbeiter. Beide starben im Verlauf der Ereignisse. Die darauf folgende öffentliche Hasskampagne gipfelte schließlich im Gewaltexzess. Von den zwölf Häftlingen aus dem KZ, die im Dorf erhängt wurden, habe keiner etwas mit den vorhergegangenen Ereignissen zu tun gehabt, so Logemann. Die genauen Hintergründe seien unklar. Immerhin habe ein Nachkriegsprozess in der DDR die Mittäterschaft eines NSDAP-Ortsgruppenleiters und Kreisabschnittsleiters nahegelegt. Letztlich stehe die Ermordung aber für die rassistische Gewalt im NS-Zwangsarbeitersystem, so der Historiker.

Schmöllner Frauen wurden öffentlich gedemütigt

Apropos Hintergründe: Jürgen Powollik verweist in seiner Darstellung der Ereignisse auf erzwungene Geständnisse der Ermordeten. Demnach hätten sechs von ihnen bei Einsätzen in Schmölln intime Beziehungen zu deutschen Frauen gehabt, einer habe nur mit einer Deutschen gesprochen. Der Vorwand habe schließlich dazu gedient, dass sie bei der „Sühnemaßnahme“ in Bechstedt gehängt und die Getöteten danach noch öffentlich zur Schau gestellt wurden. Verfolgt und gedemütigt wurden auch Schmöllner Frauen. Auf Schildern, die sie auf dem Schmöllner Markt um den Hals tragen mussten, war zu lesen: „Ich bin aus der Volksgemeinschaft ausgestoßen.“ Den Frauen seien die Haare geschoren und der entwürdigende Vorgang sei fotografisch dokumentiert worden. Gaffer hätten den öffentlichen Pranger verfolgt.

Stolpersteine erinnern seit 2022 in Bechstedt zusätzlich an die Ermordung der Zwangsarbeiter.   
Stolpersteine erinnern seit 2022 in Bechstedt zusätzlich an die Ermordung der Zwangsarbeiter.    © Hanno Müller | Hanno Müller

In Bechstedt erinnern seit dem 30.Juni 2022 zusätzlich zwölf Stolpersteine an die Untat. Nichts darf vergessen werden, sagt der Rentner Powollik. Da liege nicht zuletzt auch die Herausforderung für das neue Museum in Weimar.