Berlin. Frankreichs Nationalelf wendet sich gegen Le Pen, auch Star Kylian Mbappé. Warum die Wahrheit beim Spiel heute Abend auf dem Platz liegt.

Was ist wichtig, was zählt? „Das Spiel ist extrem wichtig“, meint Kylian Mbappé. „Es gibt aber auch Dinge, die wesentlich wichtiger sind.“ Wenn Frankreichs Superstar heute in Düsseldorf mit seinem Kollegen zum Spiel gegen Österreich aufläuft, erwarten viele nicht nur besten Fußball zur Europameisterschaft, sondern auch eine Demonstration der anderen Art: Eine Aktion zur anstehenden Parlamentswahl daheim. Mbappé und Co. wollen politisch punkten.

Die Spieler rufen ihre Landsleute auf, zur Wahl zu gehen. Niemanden in der Mannschaft sei es „egal“, erzählt ihr Kapitän. Einige seiner Kollegen haben im Vorfeld klargemacht, wofür sie eintreten, genauer gesagt: wogegen. Gegen einen Rechtsruck.

Lesen Sie dazu den Kommentar: Le Pen & Co.: Der EU, wie wir sie kennen, droht das Ende

„Als Bürger müssen wir täglich dafür kämpfen, dass der ‚Rassemblement National‘ nicht durchkommt“, sagt Mbappés Sturmpartner Marcus Thuram, der in Deutschland kein Unbekannter ist. Er spielte früher bei Borussia Mönchengladbach.

Endspiel um die Mitte

Nach der drastischen Niederlage seiner Partei bei der Europawahl hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Neuwahlen angesetzt. Sie sollen zwischen dem 30. Juni und 7. Juli stattfinden, noch während der Europameisterschaft. Macron legt sie als Endspiel um die Kräfte der demokratischen Mitte an, weil die rechtsextreme „Rassemblement National“ bei der Europawahl gut 30 Prozent der Stimmen geholt hatte. Macron will wissen, wo Frankreich steht – und das Spiel noch drehen.

Seither gehen die Franzosen fast jeden Tag auf die Straße, Hunderttausende erst am letzten Wochenende. Die Polarisierung der Gesellschaft macht vor der Nationalmannschaft nicht Halt. Die Spieler konnten sich ihr kaum entziehen. Sie wurden schließlich immer wieder darauf angesprochen. Als erster ging Ousmane Dembélé in die Offensive. Er forderte die Franzosen zur Wahl auf. Einen Tag spät sprangen ihm Olivier Giroud und Benjamin Pavard bei, dann Thuram und zuletzt Kapitän Mbappé.

Mbappé vs. Le Pen

Die Wahl platzt in die Endphase des Turniers hinein: Am 9. und 10. Juli ist Halbfinale, am 14. Juli Finale. Der kalendarische Zufall will es, dass es der französische Nationalfeiertag ist, der Tag der Erstürmung der Bastille. Wenn die Spieler vor jeder Partie die „Marseillaise“, anstimmen, besingen sie eine Freiheitsbewegung.

So viel lässt sich schon jetzt sagen: Wenn sie ins Endspiel kommen, dann wird es politisch aufgeladen. Entweder hat Marine Le Pen die Wahl für sich entschieden oder die gemäßigte Mitte hat den Rechtsruck abwenden könne. So oder so: Die Politik wird die Mannschaft begleiten.

Laut der Zeitung „Le Parisien“ wollen etwa 40 Mitglieder der EM-Delegation die Chance ergreifen, für die Stimmabgabe am 30. Juni und die Stichwahlen am 7. Juli eine andere Person dazu bevollmächtigen. Wenn zu Hause abgestimmt wird, wollen „Les Bleus“ schließlich noch in Deutschland sein. Unwahrscheinlich ist das nicht. Sie sind der Topfavorit neben Gastgeber Deutschland.

„Die Alarmglocken schrillen“

Ihr Trainer klingt gereizt. Er weiß: Eine Topleistung setzt die totale Fokussierung auf den Sport. „Wir können nach der Euro darüber reden“, knurrt Didier Deschamps. Der Verband ist neutral und vor allem bestrebt, jede Form von Druck und Instrumentalisierung des Teams zu vermeiden. Einerseits.

Andererseits: Die Meinungsfreiheit gilt für jeden. Auch für Fußballer? „Jeder von ihnen konnte sich frei äußern, nach seinen eigenen Überzeugungen und seinen eigenen Empfindlichkeiten“, teilt der Verband mit und schließt sich dem „notwendigen Aufruf“ zur Abstimmung an. Eine hohe Wahlbeteiligung ist ein Wunsch, der gegen keine Partei gerichtet ist.

„Es wird da was geben.“

Die Spieler gehen weiter. Beispiel Dembélé: „Ich denke, dass in Bezug auf die Situation in Frankreich die Alarmglocken schrillen.“ O-Ton Mbappé: „Dies ist ein wichtiger Moment in der Geschichte unseres Landes. Vielleicht ist er so wichtig wie noch nie.“ Thuram sprach bei einer Pressekonferenz im französischen Teamcamp in Paderborn davon, dass die Lage sehr ernst sei. „Wir waren in der Kabine alle etwas schockiert. Ich glaube, das ist die traurige Wahrheit in unserer Gesellschaft.“ Er meint die Europawahl.

Mbappé unterstützt seinen Mitspieler. „Ich teile seine Position und stehe voll dahinter“, beteuert er. Für das heutige Spiel gegen Österreich kündigt er an: „Es wird da was geben.“

Nationalspieler haben Einfluss

Entscheidend ist tatsächlich, dass jeder zur Wahl geht, auch die Jüngeren und gerade die mit Migrationshintergrund. Viele der Spieler kommen selber aus diesem Milieu. Sie sind in den armen Vierteln am Rande der Großstädte aufgewachsen, in den berüchtigten Banlieues von Paris, Marseille oder Lyon.

Hier sind Spieler wie Mbappé Vorbilder, hier haben sie eine hohe Glaubwürdigkeit, hier erzeugen ihre Worte ein Echo. Die Nationalspieler sind sich ihres Einflusses bewusst. „Ich will jetzt zur jungen Generation in unserem Land sprechen“, sagt Mbappé. Es könnte tatsächlich entscheidend sein, wie viele gerade hier zur Wahl gehen werden.

Auch interessant: Fußball-EM im TV: So klappt die Übertragung am schnellsten

Mbappé will Trikot mit Stolz tragen können

Viele der Spieler kennen aus eigener Erfahrung Rassismus und Ausgrenzung. „Wir sehen, dass die Extreme vor den Toren der Macht stehen, und wir haben die Möglichkeit, die Zukunft unseres Landes zu bestimmen“, erklärt Mbappé. Deshalb rufe er alle jungen Menschen auf, zur Wahl zu gehen. „Ich hoffe, dass meine Stimme möglichst viel bewirken wird, denn wir müssen uns mit diesem Land und unseren Werten identifizieren, die die Werte der Vielfalt, der Toleranz und des Respekts sind, das ist unbestreitbar.“

'Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion

Hinter den Kulissen der Politik - meinungsstark, exklusiv, relevant.

Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.

Es ist selten, dass Fußballer sich öffentlich politisch positionieren. Die Deutschen taten es bei der letzten WM in Katar mit einer Armbindenaktion. Das Turnier ist in unguter Erinnerung. Politische Debatten lenken ab, stören die Konzentration. Mbappé hat eine andere Sorgen. „Ich hoffe, dass wir am 7. Juli noch stolz darauf sein werden, dieses Trikot zu tragen.“