Weimar/ Berlin/ Hildesheim. Pilotprojekt in Kooperation mit der Klassik-Stiftung macht beschädigte Unterlagen der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland aus dem Bundesarchiv erstmals zugänglich.

Im Jahr 2004 brannte die Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek (HAAB) in Weimar. Zehntausende Bücher wurden vernichtet, über 100.000 Werke teilweise stark beschädigt. Seitdem laufen umfangreiche Restaurierungsarbeiten. In einer eigenen Fachwerkstatt in Legefeld bei Weimar erforscht die Klassik-Stiftung dafür neue Verfahren und Methoden zur Erhaltung der einmaligen Drucke und Handschriften. 2019 ging man dafür zudem eine Kooperation mit der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) in Hildesheim, Holzminden und Göttingen ein.

Das Bundesarchiv, die Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar und der Studiengang Konservierungs- und Restaurierungswissenschaft der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen planen, in einem Pilotprojekt historisch bedeutsame Unterlagen der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland zu restaurieren, zugänglich zu machen und für künftige Generationen zu erhalten. Gezeigt wurden in Berlin einige Beispiele.
Das Bundesarchiv, die Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar und der Studiengang Konservierungs- und Restaurierungswissenschaft der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen planen, in einem Pilotprojekt historisch bedeutsame Unterlagen der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland zu restaurieren, zugänglich zu machen und für künftige Generationen zu erhalten. Gezeigt wurden in Berlin einige Beispiele. © Hanno Müller | Hanno Müller

Die dabei gewonnenen Erfahrungen sollen jetzt in ein ganz besonderes Pilotprojekt einfließen. Gemeinsam mit dem Bundesarchiv in Berlin wollen Klassik-Stiftung und Hochschule erproben, ob und wie schwers beschädigte und deshalb bislang unbrauchbare Unterlagen der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland restauriert und so der Öffentlichkeit erstmals zugänglich gemacht werden können. Nur durch die Zusammenarbeit von Kulturgutbewahrern mit Forschung und Entwicklung seien entsprechende Innovationen möglich, sagte Thüringens Kulturstaatsminister Benjamin-Immanuel Hoff am Donnerstag bei der Vorstellung des Projektes in der Thüringer Vertretung in Berlin. Letztlich könne so auch mit einem ganz besonderen Bestand ein weiteres Kapitel der institutionalisierten Verfolgung und Ermordung der Jüdinnen und Juden in Deutschland aufgearbeitet werden.

Juden mussten bei den NS-Deportationen ihres Volkes mitwirken

Die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland war am 4. Juli 1939 per Zwangsverordnung der Nazis gegründet worden. Beitreten mussten alle jüdischen Verbände und Gemeinden sowie Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen als Juden galten. Diese Umorganisation stellte das Ende der zunächst noch frei gewählten Vertretung der Juden in Deutschland dar. Unter NS-Kontrolle mussten die Verantwortlichen auch an Deportationen und Enteignungen mitwirken. Die meisten von ihnen wurden nach der Auflösung in Konzentrationslager verschleppt und umgebracht.

Beim Pressetermin zum Projekt ·Wie die Unterlagen der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland erhalten bleiben· werden historische Schiften und Briefe in der Landesvertretung Thüringen vorgestellt. Ziel des Projekts vom Bundesarchiv, der Herzogin Anna Amalia Bibliothek und der Klassik Stiftung Weimar ist es, historische Dokumente der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland zu restaurieren, zugänglich zu machen und für künftige Generationen zu bewahren. Foto: Jens Kalaene/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Beim Pressetermin zum Projekt ·Wie die Unterlagen der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland erhalten bleiben· werden historische Schiften und Briefe in der Landesvertretung Thüringen vorgestellt. Ziel des Projekts vom Bundesarchiv, der Herzogin Anna Amalia Bibliothek und der Klassik Stiftung Weimar ist es, historische Dokumente der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland zu restaurieren, zugänglich zu machen und für künftige Generationen zu bewahren. Foto: Jens Kalaene/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ © DPA Images | Jens Kalaene

Überliefert seien im Bundesarchivbestand mit der Registratur R 8150 etwas mehr als 800 Aktenbände der Reichsvereinigung, darunter Verwaltungsakten und Schriftverkehr mit NS-Behörden sowie ein großer Teil personenbezogener Akten, sagte Michael Hollmann, Präsident des Bundesarchives. 55 dieser Aufbewahrungseinheiten seien unter anderem durch Vernachlässigung und falsche Lagerung nicht zuletzt während der DDR-Zeit teils so stark beschädigt, dass sie entweder gar nicht mehr oder aber nur um den Preis weiterer unumkehrbarer Verletzungen benutzt werden könnten. Für das Versuchs- und Forschungsprojekt der drei Kooperations-Partner ausgewählt wurden zunächst neun Objekte in unterschiedlichen Verfallsstadien. Bei einigen könnten teils extrem fragile und brüchige Papiere nicht mehr voneinander gelöst werden. Feuchtigkeit habe den schlechteren Tinten zugesetzt und mache die Schrift oft unlesbar.

Abwägung zwischen Originalzustand und Funktionalität

Getestet werden soll nun zunächst, was überhaupt geht und welche Methoden sich dafür eignen. Nicht alles von dem, was sich etwa für die Sanierung der Brand- und Aschebücher aus der Anna-Amalia-Bibliothek eigne, lasse sich auch auf die jüdischen Archivalien anwenden, sagte Laura Völkel, verantwortliche Restauratorin in der 2008 geschaffenen Buchfachwerkstatt in Legefeld. Zum Einsatz kommen sollen etwa Verfahren aus der Celluloseforschung sowie aus der Multispektraldigitalisierung. Durch Letztere könnten etwa Tinten mit Licht unterschiedlicherer Wellenlänge auf ihre Beschaffenheit geprüft werden. Letztlich gehe es dabei immer auch um eine Abwägung des Verhältnisses von Original und Inhalt auf der einen und wiedergewonnener Funktionalität auf der anderen Seite. Je mehr Fehlstellen durch neue Materialien ergänzt würden, desto weiter entferne man sich vom ursprünglichen Original.

'Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion

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Grundsätzlich gehe es um die Entwicklung von Restaurierungsmodellen, die sich auf den Erhalt größerer Mengen fragilen Bibliotheks- und Kulturgutes übertragen lassen, sagte die Weimarer Stiftungs-Präsidentin Ulrike Lorenz. Finanziert werde die Pilotphase mit einem zunächst niedrigeren vierstelligen Betrag von der Klassik-Stiftung sowie durch Zuwendungen von Land und Bund. Für den Gesamtbestand reiche das aber nicht. „Für den Erhalt solcher Kulturgüter gibt es bisher nur wenig öffentliches Bewusstsein. Die Gesellschaft muss sich klar werden, was ihr ihre Vergangenheit wert ist“, so Lorenz.

Podium mit den Kooperationspartnern, v. l. n. r.: Mark Hudy, Präsident der HAWK, Ulrike Lorenz, Präsidentin der Weimarer Klassik-Stiftung, Benjamin-Immanuel Hoff, Thüringer Kulturstaatsminister und Michael Hollmann Präsident des Bundesarchives.
Podium mit den Kooperationspartnern, v. l. n. r.: Mark Hudy, Präsident der HAWK, Ulrike Lorenz, Präsidentin der Weimarer Klassik-Stiftung, Benjamin-Immanuel Hoff, Thüringer Kulturstaatsminister und Michael Hollmann Präsident des Bundesarchives. © Hanno Müller | Hanno Müller

Eröffnet wurde in der Berliner Thüringen-Vertretung auch die Ausstellung „Aschebücher“ des niedersächsischen Künstlers Hannes Möller. Zu sehen sind teils mit Originalasche und -papierresten aus der Anna-Amalia-Bibliothek gefertigte Porträts der geschädigten und zerstörten Bücher, die der verheerende Bibliotheksbrand des Jahres 2004 hinterließ.