Hamburg. Beiden Teams droht nach dem 1:1 das frühzeitige EM-Aus. Am Mittwoch helfen gegen Portugal und die Türkei nur Siege. Top-Star fraglich.

Das 1:1 zwischen Tschechien und Georgien war bereits ein paar Minuten besiegelt, als sich die Anhänger beider Teams dafür entschieden, ganz einfach das Beste daraus zu machen. Hüben feierte Georgien mit seinen Fans in isländischer Huh-Manier, während drüben die Tschechen vor ihrer Kurve niederknieten und sich bejubeln ließen.

Unter dem Strich war das Unentschieden in Hamburg für beide Mannschaften im Hinblick auf einen längeren Aufenthalt bei dieser EM in Deutschland zu wenig – doch manchmal muss man die Feste eben feiern, wie sie fallen. „Wir sind zufrieden und glücklich, dass wir den ersten EM-Punkt unserer Geschichte geholt haben“, sagte Georgiens Keeper Giorgi Mamardaschwili, als er zum Spieler des Spiels ausgezeichnet wurde. „Wir können stolz sein.“

1:1 gegen Tschechien: Erster EM-Punkt für Georgien

Die tschechische Mannschaft hatte eigentlich nur vor dem Anpfiff Grund zur Freude. Denn wahrscheinlich hat kein EM-Team eine derart kurze Anreise ins Stadion wie die Mannschaft von Trainer Ivan Hasek. 23,4 Kilometer musste der tschechische Tross mit den drei Bayer-Legionären Patrik Schick, Adam Hlozek und Matej Kovar aus dem Teamquartier im Golfhotel Treudelberg im Norden Hamburgs zurücklegen, um ins Volksparkstadion im Westen der Hansestadt zu gelangen.

Und die beiden Leverkusener Schick und Hlozek, die gemeinsam im Sturm beginnen durften, brauchten nicht einmal 150 Sekunden, um das nahezu ausverkaufte Stadion – es gab noch wenige Restkarten für 150 Euro pro Ticket – erstmals in Ekstase zu versetzen. Nach einem rekordverdächtig langen Einwurf von Vladimir Coufal testeten die beiden Bayer-Profis Georgiens Torhüter Mamardaschwili, der aber von Anfang an hellwach war.

Doch selbst jener Mamardaschwili war nach einer fast identischen Situation 20 Minuten später geschlagen, als nach einem erneuten langen Coufal-Einwurf wieder Leverkusens Meister Hlozek alleine vor ihm auftauchte. Den ersten Schuss konnte Mamardaschwili noch abwehren, beim Abpraller per Kopf war er machtlos – und dann umso erleichterter, als der deutsche Videorichter Marco Fritz das Tor wegen einer minimalen Handberührung annullierte.

Viele Georgier waren nach Auftaktpleite in Hamburg dabei

Und Georgien? Das Underdog-Team vom früheren Bayernprofi Willy Sagnol durfte sich über eine echte Weltpremiere freuen. Noch nie war der EM-Neuling zu einem Länderspiel gegen Tschechien angetreten. Und nach dem packenden 1:3 bei der EM-Premiere gegen die Türkei war zumindest vor dem Anpfiff der zweiten EURO-Partie der Geschichte die Zuversicht groß.

In den Landesfarben rot und weiß hatten die Fans aus dem Südkaukasus ein großes Transparent in der eigenen Kurve aufgehängt: B E L I E V E. Auf Deutsch: Glaube. Und dieser Glaube war im Lager der Anhänger mit den weißen Flaggen und den vier kleinen roten Kreuzen unerschütterlich.

Georgiens Superstar Khvicha Kvaratskhelia war abgemeldet

Doch derjenige, der im Team der Georgier die Berge versetzen soll, war zumindest in der ersten Halbzeit weitgehend abgemeldet. Khvicha Kvaratskhelia, den man in dessen Wahlheimat Neapel in Anlehnung an den Nationalheiligen Diego Maradona ganz bescheiden Kvaradona nennt, konnte seine unwidersprochene Brillianz gekonnt verstecken.

Folgerichtig hieß es Null zu Null zur Pause – dachte zumindest ein Großteil der rund 50.000 Zuschauer. Doch dann passierte das, was eigentlich nur im Fußball passiert: Ein einziger Moment, der alles auf den Kopf stellt.

Ein Strafstoß sorgte für das erste Tor des Tages

In diesem Fall war es Tschechiens Robin Hranac, dessen rechter Arm für diesen einen Moment sorgte. Mit eben jenem wischte er den Ball im eigenen Strafraum so unglücklich zur Seite, dass dem deutschen Schiedsrichter Daniel Siebert gar nichts anderes übrigblieb, als nach einem kurzen Videostudium der Szene auf Strafstoß zu entscheiden. Georges Mikautadze ließ sich nicht zweimal bitten und vollstreckte aus elf Metern ins rechte Eck (45.+4).

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Plötzlich standen die Tschechen, die theoretisch eine ordentliche erste Halbzeit gespielt hatten, ganz praktisch mit dem Rücken zur Wand. Gut gespielt im ersten Gruppenspiel gegen Portugal – aber 1:2 verloren. Und nun 0:1 nach 45 Minuten gegen Georgien.

Trainer Hasek reagierte, wechselte direkt nach dem Wiederanpfiff zweimal aus und wurde nur wenige Minuten später belohnt. Der gerade erst eingewechselt Ondrej Lingr köpfte den Ball aus fünf Metern nach einer Ecke zwar zunächst nur an den Pfosten, doch Bayer-Stürmer Schick konnte sich praktisch gar nicht dagegen wehren, dass von seiner Brust der Ball ins Tor ging (59.).

Tschechiens Schick fraglich bei Entscheidungsspiel gegen Türkei

Schicks Glück wehrte allerdings nicht lang. Der Torjäger vom Leverkusener Doublesieger fasste sich nur kurz nach seinem so wichtigen Treffer an die Wade, signalisierte, dass er raus musste und humpelte wenig später vom Platz. Ob der Stürmer bis zu Tschechiens entscheidenden letzten Gruppenspiel am kommenden Mittwoch gegen die Türkei wieder fit sein kann, scheint fraglich.

Ähnlich fraglich ist aber auch, ob sich Georgien nach dem ersten EM-Punkt ihrer Geschichte wirklich freuen kann, zumal Saba Lobjanidze den Siegtreffer Sekunden vor Schluss vergab. Am kommenden Mittwoch im Spiel gegen Portugal droht nun das frühzeitige EM-Aus. Nur eines wollen sich die enthusiastischen Anhänger bis dahin nicht nehmen lassen: ihren Glauben.

Dieser muss am Mittwoch keine Berge versetzen, aber Ronaldo.