Berlin. Bei „Maischberger“ kritisiert Wagenknecht Selenskyj. Können Verhandlungen wirklich zum Kriegsende führen? Eine Publizistin zweifelt.

Erst am Dienstag boykottierte Sahra Wagenknecht gemeinsam mit ihren Parteimitgliedern die Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Bei Sandra Maischberger am Mittwochabend nahm die Gründerin des Bündnis Sahra Wagenknecht allerdings gerne Platz, um über ihre Beweggründe sowie weitere Ansichten auf den Krieg zu sprechen. 

Dort wiederholte Wagenknecht zunächst ihre grundsätzliche Haltung. Sie kritisierte den Krieg, betonte jedoch gleichzeitig, dass dieser sicherlich nicht herrsche, weil „sich jemand daran berauscht, Grenzen zu verschieben”. Angesichts der Anzahl der Soldatinnen und Soldaten, die Putin am 23. Februar 2022 an der ukrainischen Grenze versammelt hatte, könne er gar nicht ernsthaft vorgehabt haben, die gesamte Ukraine zu erobern, betonte Wagenknecht in der Sendung. Statt immer neue Waffen zu liefern, müsse man endlich verhandeln, forderte sie nachdrücklich.

NameSahra Wagenknecht
Geburtsdatum16. Juli 1969
Parteiehemals Die Linke (vormals SED und PDS), Bündnis Sahra Wagenknecht
Parteimitglied seit1989 (SED) bis 2023 (Die Linke)
Familienstandverheiratet, keine Kinder
EhemannOskar Lafontaine
WohnortMerzig (Saarland)

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Ein Punkt, bei dem ihr auch Marina Weisband zustimmte. „Man muss immer reden”, betonte die deutsch-ukrainische Publizistin, stimmte jedoch auch Zweifel an, ob für den russischen Präsidenten ein Ende des Kriegs durch Verhandlungen überhaupt noch möglich ist. „Putin braucht den Krieg”, erklärte Weisband mit Blick auf die auf Hochtouren laufende Kriegswirtschaft in Russland. „Wenn dieser Krieg eingefroren wird, ist das, was danach kommt, bestimmt kein Frieden”, meinte sie. Vielmehr sei eine Belohnung des Aggressors nur eine „Vorbereitung für den nächsten Krieg.”  Putin erzähle bereits seit zehn Jahren von seinen imperialistischen Pläne für das Baltikum oder Moldawien. „Wir sollten ihm glauben!“

Maischberger zu Ukraine-Krieg: Sahra Wagenknecht in Erklärungsnot

Unterstützung bekam Weisband von Sandra Maischberger. Sie habe sich schon einmal geirrt, konfrontierte sie Wagenknecht. Diese saß 2022 im Studio von Anne Will und betonte, dass es keinen russischen Angriff auf die Ukraine geben werden, weil dies nicht in Putins Interesse liege. Was also, wenn sie sich wieder irre und Verhandlungen keinen Frieden bringen, wollte Maischberger von ihr wissen. „Plan B ist, dass wir in der Lage sein müssen unser Land zu verteidigen”, erklärte Wagenknecht nach mehrmaliger Nachfrage.

Über die neuen Pläne von Verteidigungsminister Boris Pistorius, um genau das zu gewährleisten, hatte Maischberger kurz zuvor auch mit deranwesenden Runde gesprochen. Es sei wichtig, die Diskussion über die Wehrfähigkeit des Landes in die Bevölkerung zu bringen, brachte die Journalistin Jule Kunz an. Das Fernbleiben der AfD- und BSW-Abgeordneten bei der Rede von Selenskyj kritisierten die drei Expertinnen und Experten mit Blick einstimmig als „bodenlos”. Niemand habe von den Abgeordneten Standing-ovations verlangt. Doch gerade die Menschen, die so oft von Diplomatie sprechen, sollten „doch in
der Lage sein dort zu sitzen, zuzuhören und dann zu Schlüssen zu kommen”, erläuterte Vassili Golod. 

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Natürlich habe sie sich die Rede von Selenskyj trotzdem angehört, konterte Wagenknecht. Nur eben nicht live vor Ort. In ihrer Boykott-Erklärung hatte ihr Bündnis Selenskyj beschuldigt „eine hochgefährliche Eskalationsspirale zu befördern” und „einen unmittelbaren Kriegseintritt der Nato” heraufzubeschwören. Vorwürfe, die Wagenknecht am Mittwochabend wiederholte. Auch sie verurteile den Krieg, doch die Konsequenz dürfe nicht sein, dass „Selenskyj sich im Bundestag hinstellt“ und Frieden ausschließlich zu den Konditionen der Ukraine fordere. „Das hat er so nicht gesagt”, widersprach Maischberger sofort.
Tatsächlich äußerte Wagenknecht aber nicht nur Kritik, sondern sogar Verständnis für Selenskyjs Situation. Die Ukraine sei aktuell trotz der viele Waffenlieferungen in der Defensive, erklärte sie. Da sei es nur verständlich, dass Selenskyj die Nato miteinbeziehen wolle, um den Krieg gewinnen.

Tatsächlich hätte der Krieg „schon lange vorbei sein können”, schaltete sich Weisband mit Verweis auf unterschiedliche Meinungen ein. Aktuell würde die Nato der Ukraine zu viel zum Sterben und zu wenig zum Leben geben, betonte sie. Hätte der Westen gleich nach dem Angriff im Frühjahr 2022 bereits all das geliefert, was der Ukraine mittlerweile zur Verfügung steht, „dann wäre der Krieg im Sommer 2022 vorbei gewesen.”

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