Berlin. Wochenlang galt Arian als vermisst, nun wurde nahe seines Wohnorts eine Kinderleiche gefunden. Die Polizei befürchtet das Schlimmste.

Ist es das Ende aller Hoffnung für die Eltern des kleinen Arians? Ein Bauer hatte am Montagnachmittag bei Mäharbeiten die Leiche eines Kindes gefunden. Polizeisprecher Marvin Teschke kommen die Worte nur schwer von den Lippen: „Ja, wir halten es für hoch wahrscheinlich, dass es sich dabei um Arian handelt“, sagte er gegenüber dieser Redaktion. Ein anderes Kind werde in der Gegend nicht vermisst, so Teschke.

Alle Entwicklungen im Fall Arian: Landwirt findet Kinderleiche – Ist es der vermisste Arian?

Doch noch legt sich die Polizei nicht fest. Die kriminaltechnische Untersuchung am Fundort der Kinderleiche im Norden Niedersachsens sei mittlerweile abgeschlossen. Ergebnis: Es gibt keinen Hinweis auf Fremdverschulden, so die Polizei. Doch Genaueres werden Rechtsmediziner in Hamburg in Absprache mit der „Ermittlungsgruppe Arian“ und der zuständigen Staatsanwaltschaft bekannt geben. Damit sei im Laufe der Woche zu rechnen.

Kinderleiche entdeckt: Arians Eltern wurden sofort informiert

Arians Eltern seien von der Polizei über den Fund informiert worden, sagte ein Polizeisprecher. „Wir wollen, dass sie das von offizieller Hand erfahren und bestmöglich betreut werden.“ Die Familie wird demnach sehr eng von Polizistinnen und Polizisten betreut. Neben dem polizeilichen Angebot gebe es weitere professionelle Hilfsangebote, etwa von Notfallseelsorgerinnen und Notfallseelsorgern. 

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Die Suchaktion nach dem sechsjährigen autistischen Jungen, der am 22. April von zu Hause verschwand, war beispiellos. Tausende Menschen waren Tag und Nacht auf den Beinen, um das Kind zu finden. Das Schicksal des Jungen bewegte die Menschen deutschlandweit. Jeder Zentimeter wurde durchkämmt, hieß es immer. Doch nun wurde ein Kinderleichnam auf einer Wiese in Estorf im Landkreis Stade, im Ortsteil Behrste, gefunden, etwa zwei Kilometer von seinem Zuhause entfernt. Genau in dem Gebiet, das Einsatzkräfte durchkämmt hatten.

Diesen gelben Pullover trug Arian, als er am 22. April aus dem Haus seiner Eltern verschwand.
Diesen gelben Pullover trug Arian, als er am 22. April aus dem Haus seiner Eltern verschwand. © Polizei | Polizei

Der Landwirt sagte gegenüber der DPA: „Das war das Erste, was ich zur Polizei gesagt habe: Warum habt ihr ihn nicht gefunden?“ Das Feld sei in der Vergangenheit von Einsatzkräften durchsucht worden, so der 54-Jährige. „Die sind da überall gewesen.“ Er verstehe es nicht. „Das ist alles bisschen viel gerade.“

Groß angelegte Suche nach Arian blieb ohne Erfolg

Teschke von der Polizei Rotenburg kritisierte gegenüber dieser Redaktion, „dass im Netz ein Interview mit dem Landwirt steht“, der das tote Kind am Montag gefunden hatte. Es seien bereits Details des erschreckenden Fundes in die Öffentlichkeit gelangt, die die Polizei bis zur endgültigen Klärung zurückhalten wollte. „Es ist dort zum Beispiel die Rede vom gelben Shirt“, so Teschke. Gelb-orange war auch Arians Shirt, als er verschwand, wie damals zu lesen war.

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Die Nachricht des Leichenfunds wird viele Menschen in Bremervörde geschockt haben. Ihre Sorge um den kleinen Arian wird die wenigsten losgelassen haben, auch wenn bereits zwei Monate vergangen sind. Mit Reiterstaffeln und Suchhunden wurden damals 5300 Hektar zu Land, zu Wasser und aus der Luft abgesucht, eine Fläche von mehr als 7500 Fußballfeldern. Täglich waren rund 800 Menschen auf der Suche, darunter auch viele Spezialkräfte mit Helikoptern, Drohnen, Booten und Tauchequipment.

Hunderte von Helfern hatten eine Menschenkette gebildet. Es wurde sogar Feuerwerk abgebrannt, um den autistischen Jungen zu finden, weil das Kind nicht auf Ansprachen reagieren konnte. In einem Waldgebiet, das an das Wohnhaus der Familie des Jungen angrenzt, hängte die Feuerwehr auf Wunsch der Eltern Luftballons und Süßigkeiten auf.  „Am Ende des Tages standen wir mit leeren Händen da, das macht uns unendlich traurig“, sagte Polizeisprecher Heiner van der Werp nach der Suche.

Autismus-Experte: „Kinder mit Autismus haben eine erhöhte Unfallgefahr“

Eltern wissen, wie schnell es passieren kann, dass ein Kind wegläuft, einfach weil es neugierig ist und sich auf Erkundungstour begibt. Bei autistischen Kindern können zudem „teils unvorhersehbare, sehr impulsive Reaktionen auf Situationen, die auch Eltern nicht erahnen können“ eintreten, so Tomasz Jarczok, Chefarzt Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie an der Klinik Josefinum in Augsburg, die sich unter anderem auch auf die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Autismus spezialisiert hat. Erschwerend hinzu kommt vermutlich, dass autistische Kinder Gefahrensituationen oft schlechter erkennen können als andere Gleichaltrige.

Mit Feuerwerk, Süßigkeiten und bunten Ballons hatten die Einsatzkräfte gehofft, Arian anlocken zu können.
Mit Feuerwerk, Süßigkeiten und bunten Ballons hatten die Einsatzkräfte gehofft, Arian anlocken zu können. © DPA Images | Markus Hibbeler

Jarczok beschreibt es so: Kinder mit Autismus kämen im Alltag nicht so gut zurecht wie andere Gleichaltrige. „Wenn ein Kind verloren geht, schafft es es daher nicht so leicht, sich Hilfe zu suchen oder gar zurückzufinden, obwohl es das vielleicht wollte.“ Zudem würden autistische Kinder oft gar nicht realisieren, „dass sie sich überhaupt in einer Notsituation befinden“.

Experte zu Autismus bei Kindern: „Erhöhtes Risiko“ für Leib und Leben

Viele fragten sich bei der Suchaktion, was dem Kind wohl passiert sein konnte. Die Polizei ging schnell von einem Unfall aus. „Kinder mit Autismus haben eine erhöhte Unfallgefahr“, so der Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie . „Das ist ein Teil dieser Schwierigkeit, Gefahrensituationen adäquat einzuschätzen und das eigene Verhalten zu steuern. Selbst im Alltag kommt es dadurch bei ihnen häufiger zu Verletzungen. Auch hier gibt es ein statistisch erhöhtes Risiko im Vergleich zu normal entwickelten Kindern.“

Selten hatte eine Vermisstenmeldung so hohe Betroffenheit ausgelöst wie die des kleinen Arians. An einem Baustellenzaum am Feuerwehrhaus in Bremervörde, dem einstigen Lagezentrum der Suchaktion, erinnerten im Mai selbst gemalte Kleeblätter an den vermissten Sechsjährigen. „Arian, komm wieder. Wir geben die Hoffnung nicht auf“, stand auf einem der Kleeblätter in der Handschrift eines Kindes.