Berlin. Die neu gegründete Partei triumphiert bei der Europawahl. Doch intern glauben manche: Die wahren Bewährungsproben kommen erst noch.

Sahra Wagenknecht ist gut gelaunt. Sie wird um kurz nach 18 Uhr in der ARD interviewt, trägt ein Sakko in der Farbe türkis und lächelt. Wagenknecht sagt ruhig Sätze wie: „Ich würde das nicht so sehen, dass wir rechte Positionen haben“. Es geht um ihren Erfolg, ihre Partei ist zum ersten Mal ins Europaparlament eingezogen. Wagenknecht sagt: „Da ist ein großes Potential, das können wir auch noch weiter ausbauen.“ 

255 Kilometer Luftlinie entfernt ist Żaklin Nastić im Stress an diesem Sonntagabend. Sie führt Telefonate, redet mit Mitgliedern, beantwortet Jubel-Nachrichten. Die 44-Jährige ist für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in Hamburg verantwortlich und organisiert die dortige Wahlparty. Am Telefon versucht Nastić den Lärm im Hintergrund zu übertönen: „Dafür, dass unsere Wählerklientel eigentlich nicht so viel Interesse vorher an einer Europawahl gezeigt hat, freut uns das Ergebnis.“ Sie musste bereits einigen Parteifreuden absagen für die Veranstaltung – es gibt nicht genügend Plätze. Nastić klingt euphorisch: „Unsere Partei gibt es erst sechs Monate. Und schon sitzen wir im Parlament, also ich finde das einen enorm guten Start.“ 

Die Pessimisten sagen: Wäre das schiefgegangen, hätte man es gleich lassen können

Doch schon am Sonntagabend spaltet der Erfolg die Partei. Zum einen gibt es das Lager der Optimisten, zu denen auch Żaklin Nastić gehört. Dort lautet der Tenor: Der erste Erfolg müsse gefeiert werden, das sei das Sprungbrett für alles was kommt. Und dann gibt es noch das andere Lager in der Partei, die Pessimisten. Niemand von ihnen will sich wörtlich zitieren lassen, doch dort heißt es hinter vorgehaltener Hand recht scharf: Hätte man sogar die Europawahl versemmelt, hätte man die Partei gleich wieder einstampfen können. Überragend sei das Ergebnis nicht – entscheidend sei, was in den nächsten Monaten folge. Die Frage ist nun, wie beide Lager zu einem gemeinsamen Kurs finden.

Sahra Wagenknecht, die auf vielen Wahlplakaten zu sehen ist, hat gar nicht selbst für das Europaparlament kandidiert. Doch bei Europawahlen geht es immer auch um die großen Themen der Politik. Und die sind fester Bestandteil bei jedem von Wagenknechts Auftritten: Wohlstand, Sicherheit, Krieg und Frieden. Wagenknecht schimpfte gegen „hippe Großstadt-Blasen“, die von Politikern mit dem normalen Leben der Menschen in Deutschland verwechselt würden. Sie ist gegen die Lieferung von Waffen an die Ukraine, so lasse sich Frieden auf dem Kontinent sichern. Viele Beobachter halten Wagenknecht deshalb für eine Populistin. Die Positionen auf Europaebene soll der Wagenknecht-Politiker Fabio de Masi, der sich als Finanzpolitiker einen guten Ruf erarbeitete, umsetzen.

Fabio De Masi (Archivbild): Der Finanzpolitiker genießt das Vertrauen von Sahra Wagenknecht.
Fabio De Masi (Archivbild): Der Finanzpolitiker genießt das Vertrauen von Sahra Wagenknecht. © DPA Images | Kay Nietfeld

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Einen Teil der Linken-Wähler nahm Wagenknecht einfach mit

Vor allem ist nun klar: Die neue Wagenknecht-Partei ist eine Alternative zur Linkspartei. Nicht nur, dass viele ehemalige Linken-Politiker, wie auch Fabio de Masi und Żaklin Nastić aus Hamburg, zu Wagenknecht gewechselt sind. Auch das Ergebnis macht die Befürchtungen, die bereits vor Wochen innerhalb der Linken kursierten, wahr: Wagenknecht nahm einen Teil ihrer Anhänger in die neue Partei mit – die Wählerwanderung von dort ist groß.

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Nun lautet die Frage, die sowohl von den Optimisten als auch von den Pessimisten in der Partei, diskutiert wird: Wie geht es weiter? Die Landtagswahlen in diesem Herbst stehen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen an. Dort, so heißt es intern, gehe es eben nicht nur um allgemeine Politik-Themen wie Krieg und Frieden, sondern um ganz konkrete Lösungen wie der Bildungspolitik, und die Frage nach Strompreisen. Doch bereits in der Woche vor der Europawahl rummste es in einem der Landesverbände, die eigentlich für ein starkes Ergebnis sorgen sollen. Ein Mitglied des Thüringer Landesvorstands trat zurück und hatte „autokratisch wirkende Entscheidungsfindungen“ sowie „kreative Wahrheiten“ in der Partei kritisiert. Wie Pessimisten und Optimisten für die Zukunft zusammenfinden, ist noch offen. Nur eines ist sicher: Einfacher wird es nicht.