Jerusalem. Israel feierte am Mittwoch das jüdische Erntedank-Fest. Dann gab es 170 Raketenangriffe in kurzer Zeit. Kommt jetzt die Offensive im Norden?

170 Raketenangriffe in wenigen Stunden: Der Norden Israels erlebte Mittwochvormittag die stärksten Angriffe seit Kriegsbeginn. Die erste Salve aus dem Libanon umfasste nahezu hundert Raketen, wobei der Großteil von Israels Luftabwehr abgefangen werden konnte. Der Rest landete in unbewohntem Areal und löste Brände aus. Insgesamt waren 21 Feuerwehren und mehrere Löschflugzeuge im Einsatz.

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    Vom Raketenfeuer der Hisbollah betroffen waren auch weite Landstriche, deren Bewohner nicht Teil der Massenevakuierung im vergangenen Herbst waren. Erstmals wurde auch die Stadt Tiberias am See Genezareth beschossen. In Tiberias wurden viele der Evakuierten aus den Grenzgebieten zum Libanon untergebracht – im Glauben, sie seien dort sicher.

    Mehr von Israel-Korrespondentin Maria Sterkl

    „Die Bewohner im Norden des Landes zittern, aber im Fernsehen bringen sie Quiche-Rezepte. Es sieht fast so aus, als gehörte der Norden nicht zu Israel“, ärgert sich Mosche Davidovich, Gouverneur des Landkreises Mateh Ascher im nördlichen Galiläa. Israel feierte am Mittwoch das jüdische Erntedank-Fest Shavuot, das Land war im Feiertagsmodus. Das Gefühl, dass sie im Stich gelassen werden, begleitet die Menschen im Norden Israels aber schon seit Oktober. Damals wurden viele Städte und Dörfer im Abstand von bis zu fünf Kilometern zur libanesischen Grenze aus Sicherheitsgründen geräumt. Die Terrorgruppen im Libanon halten sich aber nicht an solche geografischen Feinheiten, sie beschossen seither regelmäßig auch Gebiete weiter südlich der Evakuierungszone. Daher haben viele Bewohner ihre Häuser unaufgefordert verlassen – wenn auch unfreiwillig und unkompensiert.

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    Die vom Iran gestützte Hisbollah bekannte sich zu den heftigen Angriffen vom Mittwoch. Die Schläge seien eine Reaktion auf die Tötung von vier Hisbollah-Kommandanten durch Israels Luftwaffe kurz zuvor. Unter den vier getöteten Terrorführern befindet sich laut Israels Armee auch Taleb Abdallah. Er gilt als der am höchsten gereihte Hisbollah-Führer, der seit Kriegsbeginn getötet wurde. Laut Sarit Zehavi vom Alma-Forschungsinstitut war Abdallah für das gesamte Gebiet südlich des Litani-Flusses bis hinunter zur israelischen Grenze verantwortlich – also für einen großen Teil der Raketenangriffe auf Israel seit dem 7. Oktober.

    Kämpfer der libanesischen militanten Gruppe Hisbollah führen eine Trainingsübung im Dorf Aaramta im Bezirk Jezzine im Südlibanon durch.
    Kämpfer der libanesischen militanten Gruppe Hisbollah führen eine Trainingsübung im Dorf Aaramta im Bezirk Jezzine im Südlibanon durch. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Hassan Ammar

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    In den vergangenen Monaten verging im Norden Israels kein Tag ohne Hisbollah-Beschuss. Das heftige Feuer vom Mittwoch bringt erneut die Frage auf, ob nun eine massive Eskalation droht – und eine groß angelegte israelische Offensive im Libanon. Die Risiken einer solchen Operation sind groß. Die Hisbollah verfügt über ein ungleich größeres Arsenal als die Hamas, der Krieg würde wohl ganz Israel betreffen. Die rechtsextremen Parteien in Israels Regierung fordern eine solche Offensive, die USA warnen vor einem Flächenbrand. Israels Armee betont regelmäßig, dass man auf alle Szenarien vorbereitet ist – also auch einen neuen Libanon-Krieg.

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    Am Mittwoch gab es aber vorerst Entwarnung: Das Heimatfrontkommando ließ seine Verhaltensrichtlinien für den Norden Israels unverändert. Das ist ein Zeichen, dass man eine Eskalation zumindest kurzfristig nicht erwartet. Diese Prognose kann sich aber jederzeit ändern.