Berlin. Die deutschen AKW sind abgeschaltet – die Gefährdung bleibt trotzdem groß: Was Deutschlands oberste Strahlenschützerin rät.

Inge Paulini hat jeden Tag mit unkontrollierbaren Gefahren zu tun: Die Präsidentin des Bundesamtes für Strahlenschutz muss die Deutschen vor Strahlenschäden schützen. Kein leichter Job – in vielen Bereichen wächst die Gefährdung. Im dritten Teil des Interviews spricht sie über mögliche nukleare Gefahren und wie gut Deutschland auf den atomaren Ernstfall vorbereitet ist.

Die Atomkraftwerke in Deutschland sind abgeschaltet. Hat sich dadurch das Strahlenrisiko reduziert?

Inge Paulini: Strahlung macht an den Grenzen nicht halt. In vielen Nachbarländern bleiben die Atomkraftwerke am Netz, es werden sogar noch neue gebaut. Hinzu kommen Bedrohungsszenarien, die lange vergessen waren. Die Bedrohungslage hat sich verändert, das Risiko ist aber nicht geringer geworden.

Inge Paulini ist Präsidentin des Bundesamtes für Strahlenschutz.
Inge Paulini ist Präsidentin des Bundesamtes für Strahlenschutz. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Ist Deutschland gut auf den atomaren Ernstfall vorbereitet? Welche Szenarien haben Sie im Blick?

Wir müssen uns auf Unfälle in ausländischen Atomanlagen einstellen, auf Probleme beim Transport von radioaktivem Material und auf terroristische Anschläge. Zudem wird wieder offen mit dem Einsatz von nuklearen Waffen gedroht. Wir beobachten natürlich auch genau, was in den ukrainischen Atomanlagen passiert – etwa rund um das Kernkraftwerk in Saporischschja. Dort ist die Lage aufgrund der Kampfhandlungen, der instabilen Stromversorgung und der Arbeitsbedingungen für die Mitarbeitenden weiterhin angespannt. Bislang ist noch keine Radioaktivität ausgetreten. Sollte das aber passieren, sind wir relativ sicher: Lediglich an 17 Prozent der Tage eines Jahres haben wir Wetterlagen, bei denen eine radioaktive Wolke bis nach Deutschland gelangen würde. Selbst dann hätten wir aber keine direkten Gesundheitsfolgen für die Menschen. Man würde allerdings möglicherweise bestimmte Lebensmittel aus dem Verkehr ziehen müssen.

Teil 1 unseres Interviews mit Inge Paulini lesen Sie hier: Strahlenexpertin nennt Faustregel, wie viel Sonnencreme wirklich genug ist

Was sollte jeder selbst tun, um sich für den Ernstfall vorzubereiten? Jodtabletten lagern?

Auf keinen Fall! Jodtabletten sind sinnvoll, wenn es durch einen Kernkraftunfall zu einer hohen Strahlenbelastung kommt. Zum richtigen Zeitpunkt eingenommen, verhindern sie, dass sich radioaktives Jod in der Schilddrüse anreichert. Sie werden in einem Notfall von den Behörden ausgegeben und sollten nur nach ausdrücklicher Aufforderung genommen werden.

Die Pandemie hat gezeigt, dass uns wichtige Reserven im Ernstfall fehlen…

Wir lagern bundesweit 190 Millionen Tabletten für 83 Millionen Einwohner. Das ist vollkommen ausreichend.

Kann man seinen Körper schützen, wenn es zu einem taktischen Atomschlag kommt?

Der beste Schutz besteht beim Aufenthalt im Keller oder in innenliegenden, fensterlosen Räumen.

Teil 2 des Interviews: Radioaktives Gas sorgt für Gefahr: „Das unterschätzen viele“

Inge Paulini ist seit 2017 Präsidentin des Bundesamtes für Strahlenschutz. 1960 in Siebenbürgen in Rumänien geboren, studierte sie Ökotrophologie (Ernährungs- und Haushaltswissenschaft) in Bonn. Seit 2009 war sie als Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen in der wissenschaftlichen Politikberatung tätig. Zuvor leitete sie im Umweltbundesamt unter anderem die Abteilung für Nachhaltigkeitsstrategien und das Fachgebiet für Grundsatzfragen.