Erfurt. Die beiden jüngsten Kandidaten fürs Erfurter Kommunalparlament gehen für die Linkspartei und die CDU ins Rennen. Einig sind sich beide nicht nur in diesem Punkt: Es ist an der Zeit für einen Wechsel im Rathaus.

Merlin Zink und Mauritius Colin, beide 18 Jahre alt, treten als die jüngsten Kandidaten für den Erfurter Stadtrat an. Wie der Zufall es will, beide auf Platz 47 ihrer jeweiligen Kandidatenliste. Zink will für die Linke, Colin will für die CDU ins Kommunalparlament. So weit auseinander, wie es ihre parteipolitische Heimat vermuten lässt, sind die beiden gar nicht, wie sie bei ihrem ersten Aufeinandertreffen überhaupt in den Räumen unserer Redaktion feststellen. Im Gegenteil.

Sie haben das gleiche Alter, sind engagiert und wollen etwas bewegen für die Stadt, in der sie leben. Das eint beide. Beide sind keine Fans der AfD und wollen dringend den Wechsel im Rathaus. Und sie sind im Wahlkampfmodus: Kaum auf ein Thema angesprochen, sprudelt es aus ihnen heraus, was sich ändern muss und wo sie nach 18 Jahren OB Bausewein dabei ansetzen wollen. Diskutiert wird auf hohem Niveau, sprachlich macht ihnen im Diskurs auch ein alter Politik-Hase sicher nichts vor. Im Gegenteil: Manch Floskel und Formulierung ihrer älteren Mit-Parteimitglieder hat sich auch in ihren Wortschatz schon eingeschlichen. Dabei geht es beiden um die „junge Perspektive“.

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Initialzündung für politisches Engagement

Zink, der seit zwei Jahren Mitglied der Linken ist und aus Jena nach Erfurt kam, entschied sich spontan für eine Kandidatur. Probleme in der Bildungs- und Sozialpolitik und einen Mangel an Wohnraum hat er in Erfurt als Aufgabenbereiche ausgemacht, die er im Stadtrat angehen will. Politisch interessiert habe er sich, seit er denken kann, engagierte sich in Jugendzentren, in der Jungen Gemeinde Jenas und machte sein Praktikum bei der linken Landtagsabgeordneten Katharina König-Preuss. Seit es zum Streit mit Sarah Wagenknecht gekommen sei, die Linke sich wieder stärker hinterfragt, sieht er sich in der Linkspartei gut aufgehoben, wie er sagt. Nun hofft er, der Auszubildende im Zugbegleitdienst der Deutschen Bahn, neben der Arbeit genügend Zeit zu finden, sich politisch in Erfurt noch stärker zu engagieren.

Christliches Bekenntnis hat Gewicht

Seine politische Initialzündung erlebte Mauritius Colin bei der Landratswahl in Sonneberg. Hier warb er bereits um Stimmen für die CDU, machte Wahlkampf gegen die AfD. Prägend nennt er das Aufeinandertreffen mit einem Mann, der dort als „Ehrenamtlicher Abschiebehelfer“ auftrat und dass er dort das Plakat „Muslime müssen draußen bleiben - ihr dürft weiter flüchten“ lesen musste. Das sei mit seinem christlichen Bekenntnis unvereinbar, sagt Colin, der sich bei der Malteser-Jugend engagiert und der besonderen Wert auf das C im Namen seiner Partei legt. Als Schüler mit drei ebenfalls schulpflichtigen Geschwistern möchte er sich vor allem für Schulen einsetzen. Dafür, dass es ausreichend Plätze gibt, die Gebäude saniert sind und ein Schülerlotsen-System sichere Schulwege ermöglicht.

Erste politische Sporen werden im Stadtrat verdient

Toleranz, Nächstenliebe, Integration - dafür stehen beide ein. Beide wollen im Stadtrat ihre ersten politischen Sporen verdienen, erstmal „kleine Brötchen backen“, sagt Mauritius Colin. Dass er sich irgendwann in der Landes- oder Bundespolitik wiederfindet, will Merlin Zink für sich nicht ausschließen. Schließlich seien dies die Parlamente, wo er am ehesten etwas für seinen Beruf und die Bahn bewirken könne und nicht im Stadtrat. „Kommunalpolitik darf aber keinesfalls unterschätzt werden“, sagt Zink. Und junge Menschen sollten auf jeder Ebene vertreten sein, so Colin, anfangen dort, wo sie leben und mit ihren eigenen Entscheidungen konfrontiert sind.

Interessiert sich die Jugend von heute überhaupt noch für Politik? „Ja, sicher!“, stimmen beide überein, nicht nur, weil ihre Kandidatur dafür steht. Politikverdrossenheit sei keine Altersfrage, vielmehr dessen, was die Parteien ihren Wählern an Angeboten machen. Statt rhetorisch aufgeladen zu diskutieren, müsse der demokratische Streit letztlich zum Konsens führen, sagt Colin. AfD-Wähler zurückgewinnen - ohne sich dieser Partei anzunähern, das müsse ein Ziel sein, auch und eben in der Kommunalpolitik.

Geübt in politischen Diskussionen

Sind derartige politische Diskussionen nicht Neuland für die 18-Jährigen? Nein, eigentlich Tagesgeschäft im Unterricht, sagt Colin, der Schüler an einem Erfurter Gymnasium ist. Im Grunde stimmt Zink zu. Wobei das Umfeld seiner Berufschule, zumal in Sachsen, ein merklich schwierigeres sei. Diskussionen übers Gendern oder über Intersexualität „verkanteten“ sich da deutlich leichter und führten zur Eskalation.

Die Option gewählt zu werden, enthält die Chance des Scheiterns: Beide wollen trotzdem politisch unbedingt aktiv bleiben, wenn Listenplatz 47 für den Einzug nicht langt. Nötigenfalls jenen Druck zu machen, die an ihrer Stelle im Stadtrat sitzen, und an den eigenen Themen dran bleiben. Dass Mauritius Colin seine Plakate, Flyer und Visitenkarten selbst bezahlt hat - „das ist mein Anspruch“ - nötigt Zink Respekt ab, der seine Visitenkarte aus der Parteikasse finanziert bekam und auf persönliche Plakate komplett verzichtet hat.

Bislang blieb es bei verbalen Anfeindungen

Verbal angegangen worden sind beide schon für ihr Engagement. Beide haben von den Übergriffen auf Politiker natürlich gelesen, körperlich angegriffen wurden sie bisher zum Glück nicht: „Das hat man natürlich alles im Kopf, das macht was mit einem“, sagt Zink. Deshalb habe er die Kandidatur natürlich mit seinem Partner besprochen, der sich Sorgen mache und auf dessen Unterstützung er bauen kann.

Aber es gibt sie auch: die guten Erfahrungen. Ob in Haustürgesprächen am Johannesplatz oder beim Schokolade-Verteilen zum Muttertag auf dem Domplatz: „Danke, dass Sie dies für uns leisten“, habe man zu hören bekommen. Das gebe ein gutes Gefühl.

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Aus Prognosen wollen sich beide heraushalten vor der Wahl. Natürlich setzt Colin auf Andreas Horn (CDU) und Zink auf Matthias Bärwolff (Die Linke). Ihr Abstimmungsverhalten in einer möglichen Stichwahl mit Andreas Bausewein (SPD) wollen sie noch nicht offenbaren. Eines aber sei völlig klar: Käme es zu einer Stichwahl Bärwolff gegen Horn, läge es bei allen entdeckten Gemeinsamkeiten klar auf der Hand, für wen ihr Herz kommunalpolitisch jeweils schlägt.

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